Zur Jahresmitte, wenn die Sonne am Höchsten steht, feiern wir die Geburt Johannes des Täufers, sechs Monate vor dem Weihnachtsfest, der Geburt Jesu Christi. Dann sind die Tage am Kürzesten und die Nächte am Längsten. Wo die Tage kürzer werden, wird der geboren, der auf den verweist, der das Licht der Welt ist: Christus. In ihm hat Gott uns gezeigt, dass er uns nicht im Dunkel des Lebens zurück und liegenlässt. Gott vermag Unmögliches. Es gilt auf ihn zu setzen, ihm zu vertrauen, auf ihn zu verweisen.
Elisabeth und Zacharias, die Eltern von Johannes dem Täufer sind alt, sehr alt. Eigentlich zu alt, dass sich ihre Sehnsucht nach einem Kind, einen Nachkommen zu haben, erfüllt. Sie können sich nicht damit abfinden, dass das Leben so einfach zerrinnt, dass sie keine Zukunft haben über ihr Ende hinaus, dass Vergeblichkeit und Hoffnungslosigkeit das letzte Wort haben. Wie oft sind das unsere Erfahrungen, im jung sein und alt werden, wenn nichts mehr geht, wenn wir am Ende sind.
Die Geburt des Täufers sagt mir, sagt uns: Gott kann Dinge tun, die uns unmöglich erscheinen. Elisabeth bekommt trotz ihres hohen Alters noch ein Kind. Gottes Verheißungen für unser Leben sind größer als unser beschränktes Denken. Er schenkt uns eine Zukunft, Er lässt uns nicht allein und untergehen. Gewiss ist sein Handeln anders, als wir es erwarten. Seine Zukunft ist anders als wir meinen, dass es gut und richtig für uns ist. Wenigstens Elisabeth ist empfänglich für diese unglaubliche Botschaft.
Zacharias ist da anders, er kann zum Schluss nicht mehr glauben, obwohl er als Tempeldiener, als Priester Gott so nahe ist. Er ist nicht empfänglich für das Geheimnis, das Gott ist. So verschlägt es ihm die Sprache, er wird stumm. Sein Zweifel ist stärker als sein Vertrauen. Seine Auseinandersetzung mit dem Glauben hat nicht das unerwartete Gestalten Gottes in ihm stark gemacht, sondern sein Wissen um Gott hat den Ewigen und Unbegreiflichen Zeit und Grenzen gegeben.
Bisweilen denke ich, dass die Kirche nicht so sehr die ist, die alles von Gott erwartet, sondern eher wie der ungläubige Priester Zacharias, der darauf setzt, was machbar und möglich ist. Zacharias schreibt auf das Täfelchen: „Sein Name ist Johannes.“ (LK 1,63). Das heißt nichts anderes als: „Gott ist gnädig“. Gott ist uns zugewandt, immer und ewig, allein aus Gnade, ohne unser Verdienst und Zutun, ohne unser Leisten und Vermögen. Sind wir darum so sprachlos? Gott macht uns stumm, damit wir sein Wirken in der Welt entdecken und sehen.
Johannes wird zum Vorläufer, zum Wegbereiter Jesu Christi. Johannes deutet auf den, der da kommt. Wir sagen und fragen oft, wo ist eigentlich Gott. Warum ist er jetzt nicht hier? Warum hilft er nicht? Warum hört er nicht? Warum greift er nicht ein? Die Geburt des Johannes sagt mir: Gott wirkt lange bevor ich etwas von Gott hautnah spüre. Er ist da, bevor ich an sein Dasein glaube, glauben kann. Gott ist nicht laut. Im Verborgenen, in irgendeinem Winkel der Welt kommt er zur Sprache – am Ufer des Jordans, zwar nicht der kleinste Fluss, aber an einem unter ganz vielen. Es gilt nicht auf das Große, sondern auf das Kleine zu achten. Um die dreißig wird Johannes gewesen sein, als er den Kopf hinhielt für die Hoffnung, die ihn erfüllte. Er hat die Hoffnung der Welt am Fluss der Zeit bezeugt nicht als der gereifte alte Mann, sondern als der, der mitten im Leben steht.
Wir singen und hören in dieser Heiligen Feier eine Messe von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791). Einer der großen Komponisten, der in den wenigen Jahren seines Lebens Ewiges in Noten gesetzt hat. Es ist seine letzte vollständige Messvertonung (Missa C-Dur KV 337 von 1780). Es ist ein festliche Messe („solemnis“), aber doch eine kurze Messe, eher eine Missa brevis. Nicht die Größe und Länge macht diese Musik so eindrucksvoll, sondern dass Mozart in aller Kürze und Klarheit in Musik umsetzt, was es heißt den Herrn anzurufen: „Kyrie eleison“, ihn zu loben: „Gloria in excelsis Deo“, ihn zu bekennen: „Credo in unum Deum“, und ihn zu bitten, dass er uns Frieden schenkt: „Dona nobis pacem“. Mitten im Lärm der Welt schenkt Mozart uns eine Ahnung von dem, was Gott uns immer wieder geben will, wenn die Tage in einem Jahr und in der Lebenszeit kürzer und weniger werden: Freude und Hoffnung. Wie bei Johannes den Täufer dürfen wir in Mozart einen Vorläufer und Deuter des Ewigen sehen.
Wir können zur Mitte des Jahres und mitten im Leben so beten:
„Herr, zwischen Blüh‘n und Reifen
und Ende und Beginn.
Lass uns dein Wort ergreifen
und wachsen auf dich hin.
Du wächst und bleibst für immer,
doch unsre Zeit nimmt ab.
Dein Tun hat Morgenschimmer,
das unsre sinkt ins Grab.
Gib, eh die Sonne schwindet,
der äußre Mensch vergeht,
dass jeder zu dir findet
und durch dich aufersteht.“
(GL 465,1b+4)
Amen.